Gezielte körperliche Aktivität kann einen schützenden Einfluss auf die spätere Entstehung einer Depression haben. Mehr zum wortwörtlich bewegenden Ansatz von Sportpsychotherapie bzw. -psychiatrie.
Text: Tine Bielecki
Es ist keine neue Erkenntnis: Körperliche Aktivität gilt als Grundvoraussetzung für einen funktionierenden Organismus. Sport und Bewegung wirken sich positiv auf unser Wohlbefinden aus. Sie fördern die geistige Leistungsfähigkeit und weisen, wie die Autoren des aktuellen «Lehrbuchs der Sportpsychiatrie und -psychotherapie», Malte Christian Clausen und Erich Seifritz, schreiben, «präventive und therapeutische Wirkungen bei einer Vielzahl körperlicher sowie psychischer Erkrankungen auf.»
Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt Erwachsenen und Senioren mindestens 180 bis 300 Minuten Bewegung mit moderater Intensität oder alternativ 75 bis 150 Minuten intensiven Sports pro Woche. Das mag zunächst nach einem hohen Zeitaufwand klingen. Allerdings sind mit Bewegung auch Spaziergänge, leichte Gymnastik sowie Haus- und Gartenarbeit gemeint. Unter körperlicher Aktivität ist jede durch die Skelettmuskulatur ausgeführte Betätigung zu verstehen, die unseren Energieumsatz über den Grundumsatz anhebt. Dass das gut für unser Herz-Kreislauf-System und unsere Muskulatur ist, leuchtet ein. Doch was machen Bewegung und Sport mit unserer Psyche?
Sport und Bewegung sind aus dem Therapiealltag bei psychischen Erkrankungen heute nicht mehr wegzudenken. Denn körperliche Aktivität ist in der Lage, unsere Gedanken und unser Erleben zu beeinflussen. Viele von uns haben das selbst schon erlebt: Nach sportlicher Betätigung, insbesondere an der frischen Luft, fühlen wir uns irgendwie gut. Dabei fällt es uns häufig schwer zu erklären, warum das so ist. Einer der Gründe mag sicher sein, dass Sporttreiben von negativen Aktivitäten und Gedanken ablenkt. Natürlich handelt es sich bei dieser Ablenkung um einen begrenzten Zeitraum, doch mit zunehmender Regelmässigkeit kann sich die Sichtweise auf Probleme verändern, und es lässt sich feststellen, dass wir Kräfte und Ressourcen haben, über die wir uns ohne den Sport gar nicht bewusst wären.
Wie gut es sich doch anfühlt, wenn wir schon am frühen Morgen eine Runde Nordic Walking hinter uns gebracht haben oder am Abend Rückengymnastik machen konnten! Wir haben das Gefühl, etwas geschafft zu haben.
Wenn das Sollen zum Wollen wird, ist in puncto Sport im Alltag von Menschen mit Depressionen schon viel gewonnen. Ziel ist, vom Wollen zum Mögen kommen, so Prof. Jana Strahler. Ergo eine Bewegungsform zu finden, die einem von Herzen Freude macht.
«Das ist eine These, die recht plausibel klingt», sagt Prof. Jana Strahler, Leiterin des Lehrstuhls Sportpsychologie am Institut für Sport und Sportwissenschaft der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg/Breisgau. Diese Annahmen der Ablenkung durch Sport und das Erleben von Selbstwirksamkeit sind zwei Erklärungen dafür, warum Bewegung und Sport positive Effekte auf psychische Erkrankungen haben können. «Insbesondere bei einer Depression kann Sport helfen, weil man sich auf etwas Neues fokussieren muss. Wir wissen heute, dass strukturierte sportliche Aktivität depressive Symptome reduziert. Wie gross diese Wirkung allerdings ist, ist umstritten. Daher wird Sport noch eher als zusätzlicher Therapiebaustein bei der Behandlung psychischer Erkrankungen empfohlen», sagt sie.
Bei der Depression sei der positive Effekt von körperlicher Aktivität und Sport bereits gut belegt, schreiben die Autoren Theofanis Ngamsri, Malte Christian Claussen, Christian Imboden und Ulrich Hemmeter in einem Artikel in «Ars Medici», der Schweizer Zeitschrift für Hausarztmedizin. Sie
betonten, dass sportliche Betätigung insbesondere auch präventiv wirke. «In einer grossen Metaanalyse mit 49 Studien von Schuch und Mitarbeitern zeigte sich ein deutlich protektiver Einfluss der körperlichen Aktivität auf die spätere Entstehung einer Depression.»
Untersuchungen hierzu wurden in den unterschiedlichsten Regionen der Welt durchgeführt, von Nordamerika und Asien bis nach Europa, wo man speziell in Deutschland, Österreich, England, den Niederlanden, Dänemark, Spanien und Island zu dem Thema forsche. Ausserdem gelte das auch über alle Altersklassen hinweg. In einer Metaanalyse zeigte sich etwa, dass Bewegungsmangel und sitzender Lebensstil mit einem erhöhten Depressionsrisiko assoziiert sind.
Joggen und andere gleichförmige, langsame Ausdauerbelastungen können bei depressiven Symptomen einen ähnlichen Effekt wie Meditation haben. «Der Effekt ist für die sogenannten affektiven Symptome wie gedrückte Stimmung, Antriebslosigkeit und Traurigkeit gut belegt. Zu den Effekten auf andere Symptome der Depression wie Konzentrations- und Denkstörungen ist die Studienlage weniger eindeutig. Beim Sporttreiben müssen auch immer noch andere Wirkfaktoren in Betracht gezogen werden. So
wissen wir, dass Aktivitäten in der Gruppe beispielsweise wirksamer sind, als alleine joggen zu gehen. Es ist ein psychologisches Grundbedürfnis, dass wir uns mit anderen verbunden fühlen möchten. Und genauso ein wichtiger Aspekt ist das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, sich als fähig erleben, die Selbstwirksamkeit», sagt die Professorin.
Erfolgserlebnisse haben einen Einfluss auf unsere Psyche. Wer trainiert und feststellt, dass dadurch kleine Erfolge entstehen, wird dazu motiviert, den nächsten Schritt zu gehen, weiter zu trainieren. Das Bilden von Gewohnheiten und das Abhaken eines Punktes auf der To-do-Liste machen bereits gute Laune. «Bewegung ist auch Ich-Zeit. Und das beinhaltet, zu erkennen, dass man durchaus aus stressigen Momenten flüchten darf und sich mal Zeit für sich selbst nimmt.»
Auch bei den Suchterkrankungen gibt es Hinweise darauf, dass sportliche Aktivität eine positive Wirkung hat. Dieser Bereich ist bislang allerdings nur wenig erforscht. Ebenso fehlen die Studien zu Angsterkrankungen. In den Empfehlungen der Schweizer Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP) zur Behandlung der Schizophrenie wird darauf hingewiesen, dass Patienten mit dieser Erkrankung insgesamt weniger gut medizinisch versorgt sind und zudem nicht selten eine psychische Erkrankung mit einer körperlichen gemeinsam auftritt.
Die Empfehlung für sportliche Aktivität und körperliches Training ist hier zusätzlich sinnvoll, da eine Vielzahl der für diese Patienten notwendigen Medikamente metabolische Nebenwirkungen haben. Wichtig sei, dass Bewegungsinterventionen als Teil eines multimodalen Gesamttherapiekonzeptes angeboten werden, schreiben Clausen und Seifritz. Für Ausdauertraining wurden ebenso wie für Yoga positive Effekte festgestellt, die Studienlage dazu ist allerdings noch recht uneinheitlich.
«Prinzipiell hat Sport angstlösende Effekte. Allerdings kommt es dabei zu körperlichen Symptomen wie Schwitzen oder beschleunigtem Herzschlag, was – oft von Patienten befürchtet – das Entstehen einer Panikattacke fördern könne. Daher ist es wichtig, dass die Bewegungstherapie in diesen Fällen besonders sorgfältig mit den Patienten ausgearbeitet und begleitet wird», betont Prof. Strahler.
In der Kur ist Bewegung ein wichtiger Baustein der Behandlung. Doch leider lässt sich die dort gelebte Regelmässigkeit häufig nicht in den Alltag hinüberretten.
Studien weisen auch darauf hin, dass sportliche Aktivität günstige Effekte auf die kognitive Leistungsfähigkeit, die Entwicklung und den Verlauf von Alzheimer-Demenz und von Demenzen im Allgemeinen hat. Die Autoren des «Lehrbuchs der Sportpsychiatrie und -psychotherapie» schreiben, dass Sport und Bewegung als präventive und therapeutische Massnahmen bei einer Vielzahl von körperlichen und psychischen Erkrankungen anerkannt sind. Allerdings könne sich exzessives Sporttreiben in manchen Fällen auch als Sport- und Bewegungssucht manifestieren. Dann werde der Sport zum Problem.
In der Praxis muss allerdings häufig das Gegenteil festgestellt werden: Für den Einsatz standardisierter Programme mit sportlicher Bewegung in der begleitenden Therapie ist oft die krankheitsbedingte fehlende Motivation ein Hindernis. Prof. Strahler sieht insbesondere auch die Schwierigkeit im Transfer in den Alltag.
Wenn Sport und Bewegung während einer Kur als begleitende Therapieform angeboten werden, müssen die Patienten lernen, dass der Sport zur Gewohnheit werden soll, damit er wie eine Medikation wirken kann. «Das bedeutet, dass bereits während der Therapie schon mögliche Barrieren im Alltag besprochen werden müssen. Es ist wichtig zu erkennen, wo die grössten Hemmnisse der Patienten liegen und wer sie zu Hause bei ihren Vorhaben unterstützen kann. Es muss eine Bewegungsform gefunden werden, die auch wirklich Spass macht», betont Prof. Strahler. «Denn wir sind nun mal Menschen, und das heisst, wir handeln nicht immer rational, sondern wahrscheinlich deutlich öfter erlebnisorientiert. Wir wollen Freude haben an den Sachen, die wir tun. Und das gilt auch für den Sport. Nur dann kann er auch zur Gewohnheit im Alltag werden.»
Der umfassende Gesundheits-Newsletter von A.Vogel erscheint 1 x pro Monat und enthält Informationen, Tipps, Wettbewerbe und vieles mehr – rund um alle Gesundheitsthemen.