Egel ob jung oder alt, manche Menschen scheinen sich selbst das Leben schwer zu machen und ins Unglück zu rennen. Weder gut gemeinte Anregungen noch warnende Hinweise aus ihrer Umgebung vermögen sie von ihrem Weg abzubringen. Was tun, wenn Menschen auf stur schalten?
Für den St. Galler Psychologen und Psychotherapeuten Rolf Jud kommt es besonders dann zu starren Haltungen, wenn es zwischen den Menschen auf der Beziehungsebene nicht mehr stimmt.
Pfeifend schwingt sich Sven Müller (alle Namen geändert) auf sein Moped. Der 17-Jährige geht auf Arbeitssuche. Er will sich bei den Unternehmen in der Region nach einem Job erkundigen.
Ob er sich wirklich so gelassen fühlt, wie er sich gegen aussen gibt, ist schwer abzuschätzen; immerhin wurde er gestern aus der Berufslehre geworfen. Als der Lehrling einmal mehr viel zu spät zur Arbeit erschien, platzte dem Chef der Kragen.
Für die Sorgen seiner Mutter seinetwegen hat Sven wenig Verständnis, ihre Vorwürfe und Ratschläge lassen ihn kalt. Vorerst will er jobben und das Leben geniessen. Was seine alleinerziehende Mutter gar nicht weiss: Zusammen mit einem «Schrauber» hat er bei seinem Moped einen leistungsstärkeren Motor eingebaut, einen, der nach dem Strassenverkehrsgesetz für diese Fahrzeugklasse nicht zugelassen ist. Würde er in eine Polizeikontrolle geraten oder käme es gar zu einem Unfall, wären erhebliche Unannehmlichkeiten programmiert.
Bedenken hat er deswegen kaum; es wäre nicht das erste Mal, dass er Beamte austrickst, meint er gelassen. Er sei clever genug, um weder vor pingeligen Bossen noch vor übereifrigen Beamten den Bückling zu machen.
Sorgen bereitet auch Sonja Kappeler ihren Eltern. Die 21-Jährige will unbedingt mit ihrem Freund zusammenziehen. Für Sonja ist er die grosse Liebe, für ihre Eltern dagegen alles andere als der Wunsch-Lebenspartner für ihre Tochter.
Der aus dem Ausland zugewanderte Rockmusiker wirkt sehr verschlossen und hat einen Hang zur Eigenbrötelei. Dass er in seinem Heimatland Vater eines ausserehelichen Kindes ist, hat ihm bei den Eltern seiner Freundin wenig Sympathiepunkte eingetragen. Wie sie ausserdem mitbekommen haben, pumpt er ihre Tochter gelegentlich um kleinere Beträge an.
Je mehr sie ihr gut zureden, desto mehr verteidigt sie ihn. In einer Partnerschaft sei die Liebe das Wichtigste, wenn man sich liebe, so könne man sich in Gelddingen vertrauen, ist sie überzeugt. Er überweise monatlich Geld an seine Familie in seiner Heimat, dies sei doch der beste Beweis für seinen guten Charakter.
Nicht nur einzelne junge Menschen wollen ihren eigenen Weg kompromisslos gehen, auch lebenserfahrenere Erwachsene und sogar Seniorinnen und Senioren verschliessen sich gelegentlich ge-gen jeden gut gemeinten Rat.
Der 84-Jährige Gottfried Hasler lebt allein in seinem Haus. Weil die Tochter feststellte, dass sich der Witwer wenig ab-wechslungsreich ernährt, macht sie sich Sorgen. Seit dem Tod der Mutter fehlt im Haushalt öfters eine pflegende Hand.
Tochter Yvonne versucht, so gut es geht nach dem Rechten zu sehen. Aber das ist nicht immer einfach; rasch findet ihr Vater, ihm brauche niemand dreinzureden.
Sie hatte ein einziges Mal einen Versuch gemacht, den Senior zu einem Eintritt in ein Altersheim zu bewegen. Damals wurde er laut. Niemand müsse ihm vorschreiben, was er zu tun habe, empörte er sich. Später fand die Tochter nie mehr den Mut, ihn darauf anzusprechen. Sie merkt aber, dass das Besorgen zweier Haushalte auf die Dauer ihre Kräfte übersteigt.
Wie ist es möglich, dass Menschen verschiedensten Alters für gut gemeinte Empfehlungen und die Gefühle anderer absolut unzugänglich sind?
Für den St. Galler Psychologen und Psychotherapeuten Rolf Jud kommt es besonders leicht zu starren Haltungen, wenn es auf der Beziehungsebene nicht mehr stimmt. «Dort wo ich ein Gegenüber habe, das mir zuhört und auf mich eingeht, kommt es weniger leicht zu Fixierungen auf eine Position.»
Der konstruktive Umgang mit starren Haltungen bei seinen Klienten gehört zu seinem beruflichen Alltag (s. Interview).
Der Münchner Psychoanalytiker und Autor Wolfgang Schmidbauer sieht in der Sturheit eine Art Schutzmechanismus. In einem Aufsatz vergleicht er ihn mit dem Totstellreflex von Tieren. «Wenn unserem Selbstgefühl eine Gefahr droht, die uns übermächtig erscheint, dann erstarren wir. Wir werden lernunfähig und wiederholen immer dieselben Argumente, ziehen uns in ‹bockiges› Schweigen zurück.»
Für den richtigen Umgang mit sturen Menschen verweist Schmidbauer auf eine alte Fabel: Die Sonne und der Sturm wollten herausfinden, wer von beiden stärker sei. Eine Wette sollte zeigen, wer einen Wanderer schneller zum Ablegen seines Mantels bringen würde. Als der Sturm mit all seinen Kräften tobte, wi-ckelte sich der Mann fester in seine schützende Hülle. Doch als ihn die Sonne wärmte, befreite er sich bald von seinem dicken Kleidungsstück.
Lesen Sie das Interview zum Thema mit lic. phil. Rolf Jud: Vorsicht vor Besserwisserei