In der Arbeitswelt steigt die Zahl derer, die innerlich gekündigt haben, stetig. Die emotionale Distanz zur eigenen Berufstätigkeit hat auch negative Folgen für die Gesundheit, der Stress nimmt zu. Wie kann man dem Verlust an Arbeitsmotivation selbst entgegenwirken?
Roland Fischer (Name geändert) hat einen grossen Wunsch: Seine Pensionierung möge bald kommen. Vor zehn Jahren hatte der heute 53-jährige Betreuer in einer Behindertenwerkstatt noch ganz andere Ambitionen, er wollte sich im Betrieb beruflich weiterentwickeln. Doch es kam anders. Jetzt wartet er und hat innerlich gekündigt.
Autor: Adrian Zeller
Falls irgend möglich, wollte er eine Kaderstellung erreichen. Doch sein Aufstieg stoppte ziemlich weit unten auf der Karriereleiter. Sein Wunsch nach berufsbegleitenden Zusatzausbildungen wurde von der Werkstattleitung immer wieder auf die lange Bank geschoben.
«Stattdessen schickte man mich in Kommunikationskurse. Die brachten mir rein gar nichts», erzählt er frustriert. Achtzig Prozent des Vorgetragenen habe er in anderen Weiterbildungen schon x-mal gehört. Verbittert erzählt er, an den jährlichen Mitarbeitergesprächen bekomme er ungerechtfertige Vorwürfe zu hören. «Wäre ich noch jünger, würde ich mir eine neue Stelle suchen.» Fischer musste öfter erleben, wie ihm bei den Beförderungen jüngere Kolleginnen und Kollegen vorgezogen wurden. «Für die Geschäftsleitung ist alles, was neu ist, top. Jeder neue Mitarbeiter, der sich gut verkaufen kann, wird gehätschelt, die langjährigen Angestellten bekommen kaum je Anerkennung», klagt er. Sarkastisch fügt er an, neue Besen würden halt besonders gut kehren.
Mittlerweile hat Fischer resigniert und erwartet von seinem Arbeitgeber kaum mehr Chancen. An Besprechungen meldet er sich höchst selten zu Wort und bringt keine Verbesserungsvorschläge ein. «Sie werden doch nur schubladisiert», meint er schulterzuckend. Er hat innerlich gekündigt.
Wohin geht der nächste Schritt im Beruf? Fehlende Karrierechancen und zu wenig oder keine Ankennung - oft ein Grund für wachsende innere Distanz zur eigenen Tätigkeit.
Wie Arbeitspsychologen wissen, gehen Stellenbewerber und Firmen neben dem juristischen auch einen so genannten psychologischen Arbeitsvertrag ein. Dieser wird kaum je ausdrücklich besprochen, sondern besteht vor allem aus gegenseitigen Erwartungen. Die Leitung eines Unternehmens oder einer öffentlichen Verwaltung geht bei dieser informellen Übereinkunft davon aus, dass die Mitarbeitenden ihre Tätigkeit nach bestem Wissen und Gewissen ausführen und sich loyal verhalten. Sie engagieren sich an ihrem Arbeitsplatz für die Erreichung der Firmenziele. Im Gegenzug darf das Personal einen korrekten Umgangston, keine unzumutbaren Arbeitsbelastungen sowie berufliche Förderung erwarten. Verstossen die Vorgesetzten immer wieder gegen diese Spielregeln, so fühlen sich manche Arbeitnehmenden ihrerseits nicht mehr zur Einhaltung dieses stillschweigend geschlossenen Vertrages verpflichtet, es kommt zur inneren Kündigung.
Unter einer inneren Kündigung verstehen die beiden Psychologen und Buchautoren Ralf D. Brinkmann und Kurt H. Stapf den Entschluss des Arbeitnehmenden, «seine Leistungsbereitschaft und seinen Arbeitseinsatz bewusst, aber stillschweigend, zurückzunehmen». Andere Experten glauben, dass dieser Vorgang nicht immer bewusst abläuft. So oder so, ein wesentlicher Teil der innerlich Gekündigten vollzieht diesen Prozess möglichst unauffällig, weil sie keine beruflichen Nachteile in Kauf nehmen wollen. Wer an einer Arbeitsstelle nicht mehr zufrieden ist, der sucht sich in der Regel einen neuen Job. Weshalb tun dies innerlich Gekündigte nicht? Sie versprechen sich durch einen Stellenwechsel keine Verbesserung der Arbeitssituation oder es sind gar keine offenen Stellen vorhanden. Fortgeschrittenes Alter und damit geringere Chancen auf dem Arbeitsmarkt können ein weiterer Grund sein.
Fachleute unterscheiden grundsätzlich zwei Formen von innerer Kündigung: Die passive Form ist vor allem durch Resignation gekennzeichnet. Die Hoffnung, man könne karrieremässig etwas erreichen oder sinnvolle Veränderungen am Arbeitsplatz durchsetzen, wird aufgegeben. Man versucht vielmehr, möglichst unbeschadet über die Runden zu kommen, nirgends aufzufallen oder anzuecken und macht «Dienst nach Vorschrift». In der aktiven Form wollen innerlich Gekündigte dem Betrieb etwas heimzahlen. Manche von ihnen machen keinen Hehl aus ihrer negativen Einstellung gegenüber dem Arbeitgeber. Ihre emotionale Distanz zum Unternehmen kann sich in häufigen sarkastischen Bemerkungen, in kleinen Sabotagen oder in Diebstählen äussern. Innerlich Gekündigte der aktiven Variante können zum Teil auch zu Mobbern werden.
Gemäss einer Publikation der Universität Fribourg rechnen Personalmanager in der Schweiz im Durchschnitt mit 14 Prozent innerlich Gekündigten. In kleineren Unternehmen von bis zu 50 Angestellten sind die Zahlen mit 7,1 Prozent vergleichsweise tief, bei Betrieben mit einem Personalbestand über 500 liegt der Wert bei 15,5 Prozent.
Für die Differenz sind die grössere Transparenz und die geringere Anonymität in kleineren Firmen verantwortlich, abnehmender Einsatz wird rascher wahrgenommen und angesprochen. Zudem ist die Distanz zwischen Firmenleitung und Personal weniger gross, man fühlt sich einander menschlich eher verpflichtet als in einem grossen Konzern, dessen Hauptsitz möglicherweise irgendwo im fernen Ausland steht.
Innerlich Gekündigte trifft man nicht in allen Branchen gleich häufig an. Während sie statistisch gesehen in der Pharma- und der Chemieindustrie eher selten sind, haben in der Banken- und Versicherungswelt sowie in der öffentlichen Verwaltung vergleichsweise viele Mitarbeitende ihr Engagement auf ein Minimum reduziert. Über die Gründe für diese Branchenunterschiede kann nur spekuliert werden, systematische Analysen wurden bisher nicht durchgeführt.
Laut einer deutschen Studie fehlen zufriedene Berufstätige im Durchschnitt am Arbeitsplatz pro Jahr an fünf Tagen wegen Krankheit, innerlich Gekündigte sind an elf Tagen abwesend.
Im Weiteren klagen 39 Prozent der resignierten Mitarbeiter über extremen Stress, bei den engagierten sind es «nur» 17 Prozent.
In Phasen betriebsinterner Umstrukturierungen steigt das Risiko von inneren Kündigungen. Vorgesetzte tun gut daran, die Mitarbeitenden frühzeitig über die anstehenden Veränderungen zu informieren und für ihre Ängste ein offenes Ohr zu haben. In Betrieben mit unzureichender Kommunikation zwischen Führungsetage und Personal ist die Rate der innerlich Gekündigten oft überdurchschnittlich hoch.
Weitere Faktoren, welche die innere Kündigung begünstigen, sind zahlreich: Menschlich und fachlich inkompetente Vorgesetzte, betont hierarchische Unternehmensstrukturen, sehr kleine Entscheidungskompetenzen der Mitarbeitenden, fehlende Mitsprachemöglichkeiten bei der Arbeitsplatzgestaltung und der Arbeitsorganisation, unklare Aufgabenstellungen, eine nicht der Ausbildung und Erfahrung entsprechende Tätigkeit, erhebliche Über- oder Unterforderung, ständiger Zeitdruck und ein schlechtes Betriebsklima, mangelnde Wertschätzung sowie unnötig komplizierte Arbeitsabläufe und übermässige Bürokratie.
Wie kann man selbst dem Verlust an Arbeitsmotivation vorbeugen? GN-Autor Adrian Zeller hat darüber mit der dipl. Berufs- und Laufbahnberaterin, dipl. Psychologin und Buchautorin Regula Zellweger gesprochen.
A.Vogel (AV): Frau Zellweger, welches können bei einem selbst erste Warnzeichen einer drohenden inneren Kündigung sein?
Regula Zellweger: Unlust, morgens zur Arbeit zu gehen. Resignation, sich nicht mehr dazugehörig fühlen. Inneres Ablehnen von Verantwortung und Gleichgültigkeit gegenüber dem Tagesgeschehen an der Arbeit. Keine Loyalität gegenüber Kolleginnen und Kollegen sowie dem Unternehmen. Opfermentalität.
AV: Wie soll man auf sie reagieren?
Regula Zellweger: Das laufende «ich muss» im Kopf überprüfen und möglichst durch «ich will» ersetzen. Verantwortung für die eigene Befindlichkeit übernehmen. Sich im Bereich der eigenen Stelle neue Verantwortungen und Herausforderungen suchen oder sich intern versetzen lassen.
Ich kann meinen Arbeitgeber, meinen Vorgesetzten nicht verändern, nur meine Einstellung und/oder mein Verhalten. Aufpassen, dass man sich nicht von Kolleginnen und Kollegen anstecken lässt, die motzen und jammern – sich Gesprächspartner suchen, die Freude an ihrer Arbeit haben.
AV: Gibt es weitere Möglichkeiten?
Regula Zellweger: In der Freizeit Gegengewichte setzen, dafür sorgen, dass man da Wertschätzung bekommt. Herauskris-tallisieren, was belastend wirkt. Wenn es zwischenmenschliche Probleme sind, diese mit der richtigen Person ansprechen, Konflikte lösen. Es gibt aber auch unlösbare Probleme – dann ist es besser, wenn man die Stelle wechselt.
Das Leben ist zu kurz, um zu viel Zeit unglücklich zu verbringen – und wir verbringen meist viel Zeit am Arbeitsplatz. Bei Unter- oder Überforderung mit dem Vorgesetzten sprechen. Wenn alles nicht nützt, einen Stellenwechsel ins Auge fassen. Grundsätzlich sollte man bei beruflicher Unzufriedenheit eine Standortbestimmung vornehmen und die Laufbahn neu planen, eventuell mit einer professionellen Beratung.
AV: Kann man der inneren Kündigung in irgendeiner Weise vorbeugen?
Regula Zwellweger: Ja. Dafür sorgen, dass man eine Stelle annimmt, bei der man weder über- noch unterfordert ist, Weiterbildungs- und -entwicklungsmöglichkeiten hat und in einem sozialen Umfeld arbeitet, in dem es einem wohl ist.
Wichtig ist auch, dass man nicht zu sehr vom Lob und der Wertschätzung durch andere abhängig ist. Bewusst Funktion und Person trennen – was betrifft wen? Mich als Mensch oder mich in dieser Funktion? Nicht emotional reagieren, wenn nicht die Person, sondern die Funktion, z.B. bei Kritik, gemeint ist.
AV: Worin unterscheiden sich eine innere Kündigung und ein Burnout-Syndrom?
Regula Zellweger: Die innere Kündigung kann Teil eines Burnouts sein. Burnout ist eine emotionale und körperliche Erschöpfung.
Und, ganz wichtig: Ausbrennen kann nur, wer einmal gebrannt hat, also begeistert gewesen ist von seiner Arbeit. Wer einfach Nullbock-Stimmung verbreitet, hat noch lange kein Burnout.
AV: Wie soll man sich verhalten, wenn eine Arbeitskollegin oder ein -kollege Anzeichen einer inneren Kündigung zeigt? Ist offenes Ansprechen der richtige Weg?
Regula Zellweger: Achtsamkeit ist angebracht. Auf Signale achten, die der Betroffene aussendet. Eigene Beobachtung mitteilen. Keine Behauptungen aufstellen, sondern fragen: «Macht Dir die Arbeit in letzter Zeit weniger Freude? Möchtest Du darüber sprechen? Kann ich Dir helfen?»
AV: Wie können Mitarbeitende und Vorgesetzte dazu beitragen, dass es weniger zu inneren Kündigungen kommt?
Regula Zellweger: Adäquat fordern und fördern, loben, wertschätzen. Anteilnehmen, Interesse für Befindlichkeit zeigen. Potenzial erkennen, erfragen und entsprechend einsetzen. Neue Aufgaben zuteilen und beobachten, wie dies ankommt. Aber: Jeder ist letztlich selbst verantwortlich für seine Befindlichkeit!