Männer, die sich gerne aufs Fahrrad schwingen, werden oft gewarnt: Der Sport könne die empfindliche Prostata reizen, ja sogar Entzündungen und Krebs fördern. Doch wie fast immer in der Medizin, sind solche pauschalen Aussagen problematisch. Es kommt beim Radsport vor allem auf die Wahl des richtigen Sattels an.
Autorin: Annette Willaredt, 12/19
Die männliche Prostata ist eine kastaniengrosse Drüse. Sie gehört zu den Geschlechtsorganen und produziert einen Grossteil der Flüssigkeit, die bei einem Samenerguss austritt. Nötig ist sie für den Transport der Spermien. Diese Vorsteherdrüse liegt im kleinen Becken zwischen Enddarm und Blase und umschliesst die Harnröhre. Genau diese Lage kann beim Fahrradfahren Probleme verursachen. Beim Sitzen auf dem Sattel kann dieser genau auf den Damm zwischen After und Hoden drücken, unter dem das Organ liegt. Dieser Druck schlägt sich manchmal sogar in medizinisch erfassbaren Zahlen nieder.
Bei Vorsorge-Untersuchungen auf Prostatakrebs wird meist auch der PSA-Wert im Blut gemessen. Dieses Prostataspezifische Antigen ist ein Eiweiss, das nur von den Zellen der Vorsteherdrüse gebildet wird. Es macht die Samenflüssigkeit dünnflüssiger. Mediziner haben Normwerte für Männer verschiedener Altersgruppen aufgestellt. Liegt der individuelle Wert deutlich höher als diese, kann das die verschiedensten Ursachen haben – eben auch längeres Radfahren vor der Untersuchung.
Ein sicherer Marker für eine Tumorerkrankung ist der Wert also nicht. Die Untersuchung im Rahmen der Früherkennung ist bei Experten deshalb umstritten. Sicher weiss man bislang nur, dass die PSA-Werte erhöht sind, wenn ein Prostatakrebs vorliegt.
Es ist ratsam, den PSA-Wert nach einer mehrtägigen Trainingspause bestimmen lassen. Denn die Prostata kann auf die mechanische Reizung durch einen Fahrradsattel reagieren.
Radfahrer haben also ein erhöhtes Risiko, eine Entzündung der Prostata (Prostatitis) zu entwickeln. Sie zeigt sich vor allem durch Beschwerden beim Wasserlassen oder bei der Ejakulation, mit Druckgefühlen, Ziehen oder Schmerzen im Unterleib und manchmal auch mit Erektionsstörungen. Bei solchen Symptomen ist ein Arztbesuch ratsam. Behandelt wird in der Regel mit Antibiotika.
Eine Untersuchung an knapp 2000 Radsportlern hat ergeben, dass bei ihnen Erektionsprobleme zwei- bis dreimal häufiger auftreten als bei Nicht-Radlern. Sogar einen Zusammenhang zwischen regelmässigem Fahrradfahren und Prostatakrebs hat eine englische Studie nachgewiesen. Konkret: Bei einem Mann über 50, der mindestens neun Stunden pro Woche Fahrrad fährt, steigt das Risiko für diesen Krebs um das Sechsfache.
Neuere Studien deuten jedoch eher darauf hin, dass häufiges Radfahren weder für die sexuelle Potenz noch für die Prostata schädlich ist – wenn man den Sattel richtig einstellt. US-Forscher hatten in ihrer Studie hinsichtlich Prostata- und Harnwegsbeschwerden keine Unterschiede zwischen Vielfahrern (mindestens zwei Jahre, mehr als drei Trainingseinheiten pro Woche und 40 Kilometer pro Tag) und Hobbyfahrern finden können. Nur Harnröhrenstrikturen (narbige Verengung der Harnröhre) traten bei Freizeitfahrern deutlich häufiger auf. Wer im Dammbereich oder in das Glied ausstrahlende Taubheitsgefühle bemerkt, sollte sich um eine bessere Sitzposition kümmern und sich in einem Velofachgeschäft beraten lassen.
Also keine Panik. Der Druck auf das empfindliche Gewebe unter dem Damm ist der entscheidende Faktor, und der lässt sich mit der richtigen Satteleinstellung anpassen.
Die Wahl des richtigen Sattels und der entsprechenden Sitzposition ist deshalb das A und O. Der Sattel darf nicht zu weit vorne oder hinten positioniert sein. Ideal ist, wenn der Körperschwerpunkt weder auf der Sattelnase, noch auf der Hinterkante des Sattels liegt, sondern in der hinteren Sattelmitte. Um die richtige Höhe für den Sattel zu ermitteln, setzt man sich drauf. Das Pedal soll nun am tiefsten Punkt stehen. Stellt man jetzt die Ferse auf das Pedal, soll das Knie durchgedrückt sein. Ist das Knie leicht gebeugt, muss der Sattel höher eingestellt werden. Rutscht das Becken trotz dieser Einstellung auf dem Sattel hin und her, kann das an einer verkürzten Muskulatur liegen. In diesem Fall sollte der Sattel etwas tiefer eingestellt werden. Richtig ist es, wenn das Becken beim Fahren stabil auf dem Sattel liegt. Ständiges Hin- und Herwackeln auf dem Sattel reizt nämlich das Prostatagewebe noch zusätzlich.
Nicht unterschätzen sollte man auch den Effekt der Sattelbreite. Sitzt man aufrecht auf dem Rad, lasten bis zu 60 Prozent des Körpergewichtes auf einer sehr kleinen Fläche, nämlich auf den beiden Sitzbeinhöckern. Die knöchernen Strukturen fühlt man sehr gut, wenn man sich aufrecht auf eine harte Stuhlfläche setzt. Der Abstand dieser Sitzbeinhöcker ist individuell unterschiedlich und hat nichts mit dem Körpergewicht zu tun. Grundsätzlich gilt: Je aufrechter die Sitzhaltung auf dem Rad, desto breiter soll der Sattel sein. Wichtig ist eine flächige Auflage des Pos, der Damm soll hingegen kaum belastet werden. Das wird gewährleistet, wenn die Sattelnase etwas tiefer liegt. Nicht zu empfehlen sind hingegen ganz schmale Sättel – oft auf Rennrädern montiert –, die seitlich stark abfallen und eine sehr harte, steile Sattelnase haben. Sie komprimieren das Gewebe im Dammbereich extrem stark. Auch die Sitzbeinhöcker werden dadurch auseinandergepresst; bei längerem Fahren kann das sogar Schmerzen verursachen. In gut sortierten Radsportgeschäften werden Sättel in verschiedener Breite angeboten – meist von S bis L. Auch bei den Formen gibt es eine große Auswahl. Ist man unsicher, welcher Sattel passt, kann man sich helfen lassen. Viele Fachgeschäfte bieten nicht nur eine Vermessung der Sitzknochen an, um die optimale Sattelbreite zu ermitteln. Beim sogenannten Bike Fitting können per Videoanalyse auch die Sitzhaltung generell und die weiteren Einstellungen des Rades (Lenker etc.) überprüft und entsprechend korrigiert werden.
Für Männer, die bereits an der Prostata operiert wurden oder die häufig Entzündungen des Organs haben, gibt es auch spezielle Sättel, die gar keinen Druck auf den Damm ausüben. Sie haben z.B. einen nach unten geöffneten Mittelkanal und eine deutlich abgesenkte Sattelnase. Oder der hintere Bereich, auf dem der Po aufliegt, ist deutlich erhöht – so hat der empfindliche Damm mehr Platz. Sogenannte Lochsättel sind in der Mitte offen und nehmen damit den Druck vom Damm. Es sind im Handel auch sogenannte medizinische Fahrradsättel erhältlich, die komplett ohne Sattelnase auskommen. Sie eignen sich aber nur für eine aufrechte Sitzposition. Diese Modelle sind ausserdem meist besser gepolstert als herkömmliche Sättel. Durch die etwas andere Sitzhaltung auf diesen Sätteln braucht es eine gewisse Eingewöhnung. Auch die Einstellung des Sattels ist etwas schwieriger. Am besten lässt man sich auch hier von den Profis im Fachgeschäft helfen. Und wann man sich nach einer Prostata-OP wieder aufs Fahrrad schwingen darf, sollte man mit seinem Arzt besprechen.