Erfahren Sie im Video-Interview mit Dr. Andreas Thueler Wissenswertes aus der Praxis über den Einsatz von Teufelskralle und Arnika anstelle oder begleitend zu NSAR.
Gesundheits-Nachrichten: Herzlich willkommen Dr. Andreas Thueler, Chefarzt am Kantonsspital Baden, Fachbereich Rheumatologie. Herr Dr. Thueler, in Ihrem Fachgebiet, in dem rund 200 Krankheiten des Stütz- und Bewegungsapparates bekannt sind, setzen Sie neben konventionellen Methoden auch auf die rationale Phytotherapie. Von welcher Bedeutung ist dabei die empirische Therapie und welchen Stellenwert hat für Sie der subjektive Behandlungserfolg?
Dr. Thueler: Sie sprechen da etwas ganz Wichtiges an. Wir müssen uns vor Augen halten, wie hoch der Anteil ist von sogenannten degenerativen Erkrankungen. In unseren Sprechstunden behandeln wir vor allem entzündliche Krankheiten; diese machen aber nur etwa 10 bis 20 Prozent aller rheumatischer Erkrankungen aus. Der grösste Teil leidet unter Arthrosen, Veränderungen an der Wirbelsäule oder an den Weichteilen. Da ist die Ernüchterung sehr gross. Das heisst, wir haben nur sehr wenige schulmedizinische Medikamente, die wir einsetzen können, wie Schmerzmedikamente und einige Chondroprotektiva (Knorpelschutz-Medikamente). Aus dem Bereich der Pflanzenmedizin, aus der ganzen Tradition über hunderte Jahre, gibt es jedoch ein grosses Spektrum an Möglichkeiten, die bis heute wahrscheinlich kaum richtig ausgenutzt worden sind. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass dieses Wissen reaktiviert wird und man versucht, die Pflanzentherapien auf einen wissenschaftlichen Hintergrund zu stellen und herauszufinden, wie die Wirkung von pflanzlichen Medikamenten zustande kommt.
GN: Der subjektive Behandlungserfolg ist ja sehr wichtig – welchen Stellenwert messen Sie dem bei?
Dr. Thueler: Das ist die einzige Messlatte, die wir haben. Das heisst, wenn es den Patientinnen und Patienten besser geht, haben wir unser Ziel erreicht. Es ist eigentlich wie immer in den letzten Jahrzehnten: Die Schulmedizin hat Angebote, wir nutzen sie und müssen beobachten, ob wir damit den gewünschten Erfolg erzielen können, damit die Patientinnen und Patienten weniger Beschwerden haben. Das Spektrum der Schulmedizin ist sehr beschränkt. Die Patientinnen und Patienten kommen zudem auch mit Wissen, das sie sich mittlerweile auf verschiedenen Ebenen holen, insbesondere aus dem Internet. Falsch ist das grundsätzlich nicht, dafür müssen wir uns öffnen. Wenn wir erprobte pflanzliche Medikamente anbieten können, mit guter Wirkung und mit weniger Nebenwirkungen, findet das bei den Betroffenen oft gute Zustimmung.
GN: Aus einer Reihe von Gründen, u.a. aufgrund von Nebenwirkungen bei hochdosiertem respektive lang dauerndem Gebrauch, stehen nicht-steroidale Antirheumatika, kurz NSAR, in der Kritik. Gerade bei älteren Patientinnen und Patienten plädieren Sie deshalb dafür, pflanzlich zu behandeln, etwa mit Teufelskralle (Harpagophytum procumbens). Können Sie uns Ihre Erfahrungen damit schildern?
Dr. Thueler: Ich könnte jeden Tag ein Fallbeispiel nennen. Gerade die degenerativen Erkrankungen, die Arthrosen und die Wirbelsäulenerkrankungen werden umso häufiger, je älter die Patientinnen und Patienten sind. Viele häufig eingesetzte schulmedizinische Medikamente wie z.B. die entzündungshemmenden Schmerzmittel (NSAR) sind gerade in diesem Alterssegment nicht die Medikamente mit den geringsten Nebenwirkungen. Folglich man muss immer daran denken, dass einerseits z.B. die NSAR erhebliche Probleme verursachen können, etwa im Magen-Darm-Bereich. Den Magen kann man zwar mit Protonenpumpenhemmern schützen, den Darm aber nicht. Was weniger bekannt ist: dass Personen mit Herzerkrankungen, die z.B. Aspirin einnehmen müssen, überhaupt keine NSAR bekommen sollten, da es Wechselwirkungen gibt und Aspirin letztlich unwirksam wird.
Das ist potenziell lebensgefährlich. Diese Erkenntnis setzt sich langsam auch in der Ärzteschaft durch, wie auch der negative Einfluss der NSAR auf die Nierenfunktion.
Letztlich muss man eben erkennen, dass einige Personen relativ unkritisch NSAR einnehmen und sich nicht bewusst sind über die zum Teil schleichend und unbemerkt einsetzenden Nebenwirkungen.
Bei den pflanzlichen Medikamenten sieht das anders aus. Dazu muss man wissen, dass die pflanzlichen Medikamente keine Monopräparate sind, sondern Wirkstoffgemische. Das bedeutet, dass wahrscheinlich nicht ein einzelner Wirkstoff den gewünschen Effekt erzielt, sondern die Wechselwirkung zwischen verschiedenen Wirkstoffen. In der Teufelskralle zum Beispiel sind über 40 Wirkstoffe enthalten. Welche Wirkstoffe wie wirken, ist bis heute nicht genau bekannt.
Das Wirkstoffgemisch hat den Vorteil, dass nicht ein hoch konzentrierter Wirkstoff Nebenwirkungen auslösen kann, sondern dass die Menge der einzelnen Wirkstoffe so ist, dass es seltener zu Nebenwirkungen kommt. Die Betroffenen merken bei der Einnahme pflanzlicher Medikamente in der Regel, dass es bis zum Eintritt der Wirkung länger dauert, dafür deutlich weniger Nebenwirkungen entstehen.
GN: Was sollte man denn über die Wirkweise von Teufelskralle im menschlichen Organismus wissen? Wo setzen diese Inhaltsstoffe an und wie lange dauert es, bis die Wirkung bei den Betroffenen eintritt?
Dr. Thueler: Es ist erwiesen, dass dieses Wirkstoffgemisch einen positiven Einfluss hat auf die Entzündung. Es erscheint etwas verwirrend, wenn ich von Entzündung spreche. Vorher habe ich erwähnt, dass Arthrosen keine entzündlichen, sondern degenerative Krankheiten sind. Das scheint ein Widerspruch zu sein. Zur Erklärung muss ich etwas ausholen. Letztlich ist auch bei der Arthrose die Entzündung ein wichtiger Faktor. Der Körper realisiert, dass da am Gelenk etwas zerstört wird. Der Knorpel wird geschädigt, was Schmerzen und Funktionseinbussen verursacht. Es setzten Reparaturprozesse ein, die immer mit Entzündung verbunden sind. Das können wir z.B. sehen, wenn wir uns in die Haut schneiden. Dann entsteht an den Wundrändern eine Rötung. Diese Rötung ist der Ausdruck der Entzündung.
So kann man sich das auch im Gelenk vorstellen: Wenn ein Reparaturprozess erfolgt, dann hat das mit Entzündung zu tun. Was bei den Wundrändern gut ist (sie wachsen wieder zusammen), ist beim Gelenk nicht von Vorteil. Der Reparaturversuch führt zur Entzündung, was Schmerzen und Schwellung verursacht. Letztlich ist sie aber wenig wirksam. Es gibt keinen neuen Knorpel, sondern eine oft überschiessende Reaktion mit Gelenkschwellung und Schmerzen. Aber die Arthrose ist dadurch nicht geheilt.
Deshalb ist es durchaus sinnvoll, wenn wir Medikamente einsetzen, die gegen die Entzündung wirken. Die NSAR machen ja auch nichts anderes. Sie sind entzündungshemmend und schmerzlindernd. Selbst wenn wir Kortison in die Gelenke hineinspritzen, ist das ein rein entzündungshemmendes Medikament.
Wir wissen aus der Erfahrung und auch aus klinischen Studien, dass die Teufelskralle ebenfalls entzündungshemmend wirkt. Verantwortlich sind vermutlich die Bitterstoffe, die in vielen Pflanzen vorkommen. Sie können aber auch Nebenwirkungen auslösen. Es heisst also nicht, dass pflanzliche Medikamente nie Nebenwirkungen haben. Gerade die Bitterstoffe können bei empfindlichen Personen im Magen-Darm-Bereich Beschwerden auslösen. Sie können Magen- und Bauchschmerzen verursachen, wenn auch relativ selten.
Empfindlichen Personen rate ich deshalb, mit einer geringen Dosis anzufangen, z.B. mit der Hälfte der Tagesdosis und bei guter Verträglichkeit nach einer Woche zu steigern. So gewöhnt sich der Magen-Darm-Trakt an diese Bitterstoffe und es kommt kaum zu Nebenwirkungen. Jetzt stellt sich die Frage: wie wirkt denn die Teufelskralle? Wenn Sie ein Schmerzmedikament einnehmen, dann erwarten Sie eine Wirkung in 20 bis 30 Minuten. So funktionieren die pflanzlichen Wirkstoffe in der Regel nicht, weil es Wirkstoffgemische sind und weil es wahrscheinlich auch Wechselwirkungen sind, die zum gewünschten Erfolg führen. Folglich ist der Eintritt der Wirkung in der Regel nicht vor zwei bis drei Wochen zu erwarten. Phytopharmaka sind keine Sofortmedikamente. Sie sollen über einen längeren Zeitraum eingenommen werden unter Beobachtung des Wirkungseintritts.
GN: Zahlreiche Menschen plagen sich mit unspezifischen Rückenschmerzen und das über viele Jahre. Empfiehlt sich Teufelskralle auch in solchen Fällen?
Dr. Thueler: Das ist eine interessante Frage. Sie wurde schon vor über 20 Jahren gestellt und untersucht. Es gibt eine schöne Studie von 2001, in der festgestellt wurde, dass bei unspezifischen Rückenschmerzen ein positiver Effekt entsteht.
Die Frage ist: Was ist sind denn überhaupt unspezifische Rückenschmerzen? Es ist ein Begriff für Schmerzen ohne klare Ursache. Als Rheumatologe mag ich den Begriff nicht. Denn so ganz unspezifisch sind die meisten Rückenschmerzen nicht. Am häufigsten kommen sie wahrscheinlich aus den Facettengelenken, den kleinen Gelenken, die die Wirbel im hinteren Teil zusammenhalten. Wenn die Bandscheiben, die sich als bewegliche Teile zwischen den Wirbeln befinden, an Höhe verlieren, gibt es vermehrt Druck auf die Facettengelenke. Deren Knorpel bekommt Schäden, es entstehen Reparaturversuche mit Entzündung. Es gibt aber keinen neuen Knorpel, sondern Knochen und Verdickung der Bänder. Die Ursachen der Schmerzen sind folglich doch etwas spezifischer als wir dachten.
Es gibt es zudem eine spannende Studie aus dem Jahr 2022, in der eine eine interessante Frage gestellt wurde: Reagiert die Spinalkanalstenose auf die Teufelskralle? Die Spinalkanalstenose kann verschiedene Ursachen haben. Hier möchte ich nicht ins Detail gehen. Eine wesentliche Ursache sind die Arthrosen der Facettengelenke. Wenn sie zu einem Wachstum von Knochenmasse um die Facettengelenke führt, ist das eine wesentliche Komponente der Spinalkanalstenose. Das umliegende Nervengewebe kann dadurch komprimiert werden und (Nerven-)Schmerzen verursachen.
In der Studie wurde die Frage gestellt: Was spielt es für eine Rolle, wenn die Teufelskralle den Eisengehalt in den Facettengelenken reduzieren kann? Das tönt vorerst einmal unverständlich. Was soll jetzt Eisen mit einer Arthrose, einer Spinalkanalstenose und mit einer Entzündung zu tun haben? In der Rheumatologie wissen wir, dass Eisen ein interessantes Mineral ist. Es kommt überall im Körper vor, etwa in den roten Blutkörperchen. Wir brauchen Eisen. In der Rheumatologie können wir beobachten, dass bei vielen chronisch entzündlichen Erkrankungen die meisten Betroffenen eine Anämie (Blutarmut) haben, unter anderem durch Eisenmangel. Geben wir den Patientinnen Eisen z.B. als Infusion, kann es zu einem plötzlichen Schub der Arthritis kommen.
Das hat dann schliesslich Idee geweckt, dass das Eisen nicht einfach nur gut ist. Offensichtlich landet nicht alles Eisen bei den roten Blutkörperchen, die es dringend brauchen würden, sondern auch bei den weissen Blutkörperchen. Unter den weissen Blutkörperchen sind die Verantwortlichen für die chronische Entzündung. Die weissen Blutkörperchen teilen sich viel schneller als die roten Blutkörperchen und nehmen deshalb mehr Eisen auf.
In der Studie wurden im Labor Nervenzellen aus dem Rückenmark untersucht. Es wurde beobachtet, was passiert, wenn man zu den Nervenzellen Eisen gibt. Die Zugabe von Eisen hat zur Zerstörung der Nervenzellen geführt. Unter Zugabe von Teufelskrallen-Extrakt wurde etwas Überraschendes festgestellt: Das Eisen wurde reduziert und die Zellen sind am Leben geblieben.
Es konnte somit aufgezeigt werden: Wenn man Teufelskrallen-Extrakt in die Nähe einer Entzündung bringt, reduziert sich die Entzündung und es profitieren nicht nur die Gelenke, sondern in der Wirbelsäule auch die Nervenzellen der Umgebung. Da schliesst sich ein Kreis.
Wenn man 2001 noch von unspezifischen Rückenschmerzen gesprochen hatte, kann man vermuten, dass schon damals indirekt nachgewiesen wurde, dass wahrscheinlich u.a. durch Verminderung des Eisens in entzündeten Wirbelsäulengelenken die Schmerzen zurückgegangen sind. Es wird spannend sein zu beobachten, was da in den nächsten Jahren noch erforscht werden kann zur Wirkungsweise pflanzlicher Produkte.
GN: Jetzt haben wir sehr viel Bemerkenswertes zur Teufelskralle gehört. Es gibt natürlich auch noch andere wichtige Heilpflanzen. Welches Potenzial sehen Sie denn für die Anwendung von Arnika bei rheumatischen Beschwerden?
Dr. Thueler: Das ist auch eine ganz spannende Frage. Arnika ist in der Schweiz vor allem als lokale Anwendung bekannt, in Form von Gels. Auch da gibt es eine sehr schöne Studie, die schon fast 20 Jahre alt ist. 2007 wurde nachgewiesen, dass bei Fingerpolyarthrosen, einer sehr verbreiteten Erkrankung, Arnika-Gel gleich gut wirkt wie 5-prozentiges Ibuprofen -Gel. Diese gut gemachte Studie weist nach, dass das pflanzliche Medikament in der lokalen Anwendung einem sehr verbreiteten, nicht-steroidalen Antirheumatikum in nichts nachsteht.