In früheren Zeiten galt der Beifuss - botanisch Artemisia vulgaris - als das wichtigste Frauenkraut, das in verschiedenen Kulturen bei einer Vielzahl von gynäkologischen Problemen angewendet wurde. In der westlichen Schulmedizin hat der Beifuss heute hingegen - ungerechtfertigterweise - fast keine Bedeutung mehr.
Weltweit kennt man zirka 300 Artemisia-Arten. Von den über 50 in Europa bekannten Arten haben vor allem der Beifuss, der Wermut, der Estragon und die Eberraute eine grosse Bedeutung gehabt. In anderen Kulturen wurden teilweise ebenfalls diese Arten, aber noch viele weitere Artemisia-Arten in der Pflanzenheilkunde eingesetzt.
Seit dem Altertum galten der Beifuss und auch andere Artemisia-Arten mehr als jede andere Heilpflanze als «das Kraut der Frauen». Bereits bei den indogermanischen Urvölkern scheint der Beifuss eine magisch-kultische Bedeutung gehabt zu haben, und er wurde in den ältesten Fruchtbarkeitsriten verwendet. Bei den Griechen war Beifuss der Göttin Artemis geweiht, der Göttin der Jagd und Beschützerin der Frauen, die auch als Hebamme und «Grosse Mutter» verehrt wurde. (Daher auch der botanische Name «Artemisia».) Und so galt Beifuss als Aphrodisiakum und als Frauenheilmittel.
Eine seit langem überlieferte Verwendung von Beifuss als Kraut mit «wärmender Kraft» lässt sich ebenfalls an alten Volksnamen wie «Mugwurz» (das keltische Wort «mug» bedeutet «wärmen, kräftigen») ablesen. Auch der Name «Schosswurz» weist darauf hin, dass die Frauen ihn sich zur Geburt um den Schoss banden, um die Wehentätigkeit anzuregen.
Der deutsche Name «Beifuss» stammt u.a. daher, dass man sich die Stängel des Beifusskrautes am Johannistag (24. Juni) um den Fuss oder den Schoss band und daraufhin den Beifuss in das Johannisfeuer warf. Man glaubte sich damit sicher vor Krankheit im ganzen kommenden Jahr. Daher stammen auch die altertümlichen Namen «Johannisgürtel» und «Sonnenwendkraut» für Beifuss.
"Artemisia Bifoiss" im Herbarius Moguntinus, 1484
Der Beifuss kommt in Europa, Nordafrika, Asien vor und ist in Nordamerika eingebürgert. Er bevorzugt nährstoffreiche Standorte und ist auf etwas feuchtem Ödland, Brachflächen, Schuttplätzen, Bahndämmen, an Wegrändern und Zäunen, in Gebüschen und in Ufernähe anzutreffen.
Artemisia vulgaris wird auch als Gewürzpflanze in Gartenkulturen angebaut. Die ausdauernde, bis 150 Zentimeter hohe Staude besitzt rötlich oder bräunlich gefärbte Stängel. Die Blätter sind fiederteilig und auf der Unterseite weiss- oder graufilzig behaart. Der rispige Blütenstand setzt sich aus Blütenköpfchen mit gelben oder rotbräunlichen Einzelblüten zusammen. Beifuss wird im Spätsommer geerntet. Er riecht angenehm würzig und schmeckt aromatisch und leicht bitter.
Bei den alten Griechen galt der Beifuss als grosses Frauenheilmittel. Er wurde vor allem zur Unterstützung der Geburt, zur Förderung der Nachgeburt und bei Schmerzen und Unregelmässigkeiten der Menstruation angewendet. Die römischen Soldaten legten sich Beifuss in die Sandalen, um die Fusssohlen gesund zu erhalten und vor Müdigkeit zu schützen. Beifuss sollte ausserdem vor Hunde- und Schlangenbissen schützen. Bei den Angelsachsen und Kelten wurde Beifuss mit Hexenkünsten (zur Abwehr von Unheil und Giften) sowie mit Fruchtbarkeitsriten in Verbindung gebracht.
Im Mittelalter galt der Beifuss als nützlich zur Erwärmung des Magens, der weiblichen Organe und der Gliedmassen. Es wurde ihm die Fähigkeit zugesprochen, müde Glieder wieder zu stärken und Kälte und Feuchtigkeit aus dem Körper zu vertreiben. Beifuss wurde verwendet, um die Fruchtbarkeit zu erhöhen, die Menstruation zu fördern, Fehlgeburten zu verhindern, die Geburt zu erleichtern, die Nachgeburt zu fördern, Sehmerzen der Menstruation zu beheben und ihre Unregelmässigkeiten auszugleichen und um alle krampfartigen Zustände, besonders der Frauen, zu beheben. Im 18. und 19. Jahrhundert wurde Beifuss auch zur Behandlung von Epilepsie eingesetzt.
Beifuss und seine Eigenschaften
Beifuss enthält u.a. ätherische Öle, Bitterstoffe, Flavonoide, Phytosterine und Gerbstoffe. Die Bitterstoffe fördern wie die ätherischen Öle den Appetit und regen zusätzlich die Magensaftproduktion sowie die Gallensekretion an.
In der Schulmedizin wird der Beifuss heute nicht mehr verwendet, sondern nur noch der stärker wirksame Wermut (Artemisia absinthium) als Magen- und Darmmittel. Die Wirksamkeit von Beifuss-Zubereitungen gilt offiziell als nicht belegt, deshalb wird eine therapeutische Verwendung nicht befürwortet.
In der Volksheilkunde hat der Beifuss dagegen noch eine gewisse Bedeutung behalten. Hier wird er als Teeaufguss vor allem in der Frauenheilkunde eingesetzt, und zwar zur Regulation des Monatszyklus, bei schmerzhafter Monatsblutung, bei Uterusblutungen, bei Erkrankungen der Unterleibsorgane, zur Förderung der Fruchtbarkeit, als Aphrodisiakum, als Abortivum, zur Anregung von Geburtswehen, zur Plazentaablösung und gegen Schmerzen nach der Geburt.
Als warmes Fuss- oder Sitzbad wird er unterstützend zur Teekur bei vaginalem Ausfluss, bei chronischen Eierstockentzündungen, bei Infektionen im Becken- und Blasenbereich, zur unterstützenden Behandlung von Geschlechtskrankheiten empfohlen.
Darüber hinaus verwendet man das Beifusskraut in Öl bei müden, schmerzenden und geschwollenen Beinen und Füssen sowie bei Rheuma; als Tinktur zum Einreiben bei Muskelkater; als Teeaufguss bei Appetitmangel, Blähungen, Magen- und Darmkrämpfen, zur Stärkung des Magens, als gallentreibendes Mittel, als Wurmmittel, bei Ruhr, gegen Fieber, bei Nervosität und Schlafstörungen sowie bei Depressionen. Die Wurzelabkochung wird bei epilepsieartigen Verkrampfungen und zur Anregung der Verdauung eingesetzt.
Als Küchenkraut werden Beifussblätter bzw. -knospen besonders fetten und schwer verdaulichen Speisen zur Förderung der Verdauung beigegeben.
Das ätherische Öl des Beifusses enthält wie das des Wermuts Thujon, aber in deutlich geringeren Mengen. Thujon hat eine abortive und stark psychoaktive Wirkung. Und so wurde der thujonreiche Wermut (Artemisa absinthum) dadurch berühmt, dass man aus ihm zusammen mit anderen Kräutern eine Art Schnaps, den so genannten Absinth, herstellte. Je nach Kräuterzusammensetzung ist der Absinth klar, gelblich oder grünlich gefärbt, und er wird oft als «Grüne Fee» bezeichnet. Weil der Absinth aufgrund seines Thujongehaltes einerseits als Rauschdroge und andererseits als illegales Abtreibungsmittel verwendet wurde, wurde er Ende des 19. Jahrhunderts in Europa verboten, in der Schweiz erst 1910. Seit 1998 ist Absinth in den meisten europäischen Staaten wieder erhältlich; auch in der Schweiz sind seit 2005 Herstellung und Verkauf wieder erlaubt.
Fussbad:
2 Handvoll Beifusskraut, frisch oder getrocknet, mit 3 Liter kaltem Wasser aufsetzen, bei geschlossenem Topf aufkochen und 5 Minuten leicht köcheln lassen. Abseihen, in ein passendes Gefäss geben und je nach Bedarf mit etwas heissem oder kaltem Wasser auffüllen.
Heisse Bäder sind bei kalten Füssen, Verkrampfungen, Kopfschmerzen oder Unterleibsstörungen angezeigt. Kalte Bäder für müde und geschwollene Füsse und Beine.
Tee-Zubereitung:
Für einen Beifusstee überbrüht man 1 TL des getrockneten Krautes mit 1 Tasse kochendem Wasser und lässt ca. 10 Minuten ziehen. Täglich werden zwei bis drei Tassen getrunken, ohne den Tee zu süssen.
«Wer schon im Tessin seine Ferien verbracht hat, kennt den Beifuss sicher, denn dort gehört er zu den zähesten Unkräutern und ist überall anzutreffen. Je nach Boden wird er bis zu 175 Zentimeter hoch. Die Behauptung, er nehme die Müdigkeit aus den Beinen, kann man leicht bestätigt finden, wenn man von einer grossen Wanderung kommend, im Beifusswasser ein Fussbad nimmt. Gegen chronischen Durchfall, Magen- und Darmkatarrhe, ja sogar gegen die so verbreiteten Wurmleiden, ist Beifuss ein ideales Heilmittelchen. Gegen die Hystero-Epilepsie, eine Form der Fallsucht, die mit der Funktion der Eierstöcke zusammenhängt, ist der Frischpflanzenextrakt von Beifuss eines der wenigen wirksamen Mittel. Beifuss wirkt harntreibend und fördert die zurückgestaute Periode. Fünf Tropfen des Frischpflanzenextraktes in ein Glas Wasser genügen, wenn davon tagsüber schluckweise getrunken wird.»
Aus: Der kleine Doktor
In der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) gilt der Beifuss als wärmend, trocknend, stärkend und energetisch aktivierend.
Er wird (meist als Tee) auch bei vielen Frauenleiden wie z.B. Unterleibsschmerzen, vaginalem Ausfluss, zu starken Monatsblutungen, Fehlgeburtsneigung oder Blutungen nach der Geburt und zur Konzeptionsförderung eingesetzt. Ausserdem wird er in einer speziellen Form von Wärmetherapie, der Moxibustion, zur Erleichterung der Geburt (Wendung einer Steisslage), bei Menstruationsstörungen sowie bei Verkrampfungen, Kopf- und Kreuzschmerzen, chronischen Stirnhöhlenerkrankungen und Magenkrämpfen verwendet.
Moxibustion ist eine Behandlung in der chinesischen Medizin, bei der mit Hilfe von Moxa-Kegeln oder Moxa-Zigarren auf entsprechenden Akupunkturpunkten Wärme erzeugt wird. Moxa-Kegel oder -Zigarren bestehen aus sehr lange abgelagertem Beifusskraut, das in Steintiegel gestampft und zur so genannten Moxawolle verarbeitet wird. Die daraus geformten Kegel werden auf der Haut des Patienten verbrannt. Dem Beifuss wird dabei eine besondere, über die eigentliche Hitzewirkung hinausgehende, wärmende und energetisierende Wirkung zugeschrieben. Um Verbrennungen vorzubeugen, wird zur Isolation manchmal eine Scheibe Ingwer oder Knoblauch unterlegt.
Auch in der ayurvedischen Heilkunde wird der Beifuss hauptsächlich bei Frauenkrankheiten sowie bei nervösen Beschwerden und als Spülung bei Pilzkrankheiten eingesetzt.
In der Küche werden Beifussknospen seit jeher als Gewürz für fette und schwerverdauliche Gerichte empfohlen. Von JuIi bis September kann man Beifuss sammeln und seine Blätter frisch oder getrocknet verwenden. Wer ein übriges tun will und einen Garten hat, braucht nur einige Samen an einem sonnigen Platz in der Nähe des Komposts auszusäen und kann jedes Jahr «ernten».
Der einjährige Beifuss (Artemisia annua) wird in der Malaria-Behandlung erforscht. In Form einer Kombinationstherapie, ergänzt durch Prophylaxemassnahmen, kann die Malaria-bedingte Mortalität in Endemiegebieten deutlich gesenkt werden. In einer über 3 Jahre laufenden Studie in Sansibar wird bei Kindern unter 5 Jahren eine Reduktion um 70% berichtet.
Die ukrainische Bezeichnung von Beifuss ist Tschornobyl oder Tschornobylnyk (Чорнобиль, Чорнобильник), nach der eine dortige Stadt und das havarierte Atomkraftwerk benannt wurden.