Etwa 40 Prozent aller Personen, die dauerhaft unter Stress leiden, futtern zu viel, vor allem Süsses und Fettiges. Wir klären die Ursachen und geben Tipps, wie man dem Stressessen Paroli bieten kann.
Text: Gesundheits-Nachrichten
Chronischer Stress kann sich unterschiedlich auf das Essverhalten auswirken. Etwa 20 Prozent der gestressten Erwachsenen essen ganz normal wie immer. 40 Prozent haben in stressigen Zeiten wenig Appetit – man bezeichnet sie auch als «Stresshungerer». Doch 40 Prozent haben eine gesteigerte Esslust und schwer zu kontrollierenden Heisshunger auf Süssigkeiten und fette Speisen. Bei den Nimmersatten spielen die Hormone Cortisol und Ghrelin eine entscheidende Rolle.
In Zeiten von grosser Anspannung, ungewöhnlicher Belastung oder Gefahr reagiert der Körper mit der Ausschüttung der Stresshormone Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol. Dadurch schlägt das Herz schneller, die Atemfrequenz wird beschleunigt, die Aufmerksamkeit, die Informationsverarbeitung und die Merkfähigkeit werden verbessert. Cortisol kurbelt die Herzfrequenz, den Blutzuckerspiegel und den Blutdruck an – was dem Körper kurzfristig zusätzliche Energie verschafft und ihn leistungsbereiter macht.
Die Ausschüttung des in der Nebennierenrinde gebildeten Cortisol ist also grundsätzlich eine gute und lebenswichtige Reaktion. Doch wenn der Cortisolspiegel über längere oder gar lange Zeit erhöht ist, sind die Folgen negativ. Das Immunsystem leidet, der gesamte Hormonhaushalt gerät durcheinander, die Lust auf Sex schwächelt, die Schlafqualität sinkt, die Schmerzempfindlichkeit nimmt zu, das Risiko für Diabetes erhöht sich – und das Bedürfnis zu essen, viel zu essen, steigt.

Stress und die Versuchung, ihn durch Süsses oder Fettes zu mindern: eine tückische Falle!
Ghrelin (Growth Hormone Release Inducing) ist ein Stoffwechselhormon, das u.a. über die Ausschüttung von Hormonen mitentscheidet, die an Wachstumsprozessen beteiligt sind. Daraus leitet sich auch der Name «Freisetzung von Wachstumshormonen» ab. Ghrelin wurde erst 1999 entdeckt und beeinflusst viele Prozesse im Körper, die auf den ersten Blick nicht zusammenhängen: den Schlaf, die Stimmung und das Ernährungsverhalten.
Das Hormon wird in der Magenschleimhaut, in der Bauchspeicheldrüse und in weiteren Organzellen gebildet. Zudem wird Ghrelin auch im Gehirn produziert und signalisiert dort, wann es höchste Zeit zum Essen ist. Unter den Appetit regulierenden Hormonen ist Ghrelin das einzige, das ein Hungergefühl auslöst. Es macht aber nicht nur Lust auf Essen, sondern fördert auch die Fettspeicherung, wodurch das Gewicht eindeutig höher werden kann.
Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass chronischer Stress, Schlafmangel und Crash-Diäten den Ghrelinspiegel in die Höhe treiben. Das führt dazu, dass gestresste Personen mehr essen als ihnen guttut. Da vor allem zuckerhaltige, fette und salzige Nahrungsmittel die Esslust sofort befriedigen, sind Schokolade, Knabberzeug und Fast Food oft die schnellste und scheinbar beste Möglichkeit, den Heisshunger zu stillen.
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Prof. Herbert Herzog und sein Team unter der Leitung von Dr. Kenny Chi Kin Ip vom Garvan Institute of Medical Research im australischen Sydney haben im Juni 2023 die Ergebnisse einer zweiten Studie mit Mäusen veröffentlicht. Dabei untersuchten sie, wie verschiedene Hirnbereiche auf chronischen Stress bei diversen Ernährungsmodellen reagieren. Die gestressten Tiere nahmen deutlich mehr fettes, kalorienreiches Futter und gesüsstes Wasser zu sich und wurden auch doppelt so dick wie ihre stressfreien Artgenossen, die normales Futter bevorzugten.
Nähere Analysen ergaben, dass bei Stress ein chemischer Botenstoff im limbischen System, genauer in der Amygdala (auch Mandelkern genannt), produziert wird, welcher in einem angrenzenden Hirnbereich (der lateralen Habenula) das natürliche Sättigungssignal ausser Kraft setzt. Die Amygdala ist an emotionalen Reaktionen, der Speicherung von Gedächtnisinhalten sowie der emotionalen Bewertung von Sinnesreizen beteiligt. Die Habenula beeinflusst die Ausschüttung der «Glückshormone» Dopamin und Serotonin, die u.a. Vorfreude auf etwas, z.B. Essen, auslösen können. Dopamin ist zudem ein Hauptakteur im sogenannten neuronalen Belohnungssystem. Bei den gestressten Mäusen blieb das hormonelle Signal «Ich bin satt» aus und die vom Belohnungssystem angefachte Lust auf Befriedigung des Süss- und Fetthungers erhalten. Bekamen die gestressten Mäuse nur normales Futter, verstärkte sich ihr Appetit weniger.
Das deutet darauf hin, dass Stress nicht nur den Hunger verstärkt, sondern spezifisch die Lust auf süsse, gehaltvolle Nahrung. Ein ähnliches Verhalten lässt sich bei gestressten Menschen beobachten. Prof. Herzog, Senior-Autor der Studie, zog das Fazit: «Unsere Ergebnisse machen deutlich, dass Stress die natürliche Antwort des Gehirns auf die Esslust beeinflusst – was bedeutet, dass das Gehirn ständig durch Essen belohnt wird (…) Wir konnten zeigen, dass chronischer Stress zusammen mit einer hochkalorischen Ernährung sowohl die Nahrungsaufnahme immer mehr steigert als auch die Vorliebe für süsses, sehr schmackhaftes Essen ankurbelt und so eine Gewichtszunahme und Fettleibigkeit begünstigt.»

Was jede und jeder selbst tun kann: Stress mit gezielten Entspannungstechniken abbauen, z.B. mithilfe bestimmter Atemübungen, die man einfach erlernen kann.
Wir haben gesehen, dass sowohl hormonelle Faktoren als auch bestimmte Reaktionen im Gehirn, welche die ungewöhnliche Esslust begünstigen, durch Stress verursacht sein können. Der beste Schritt müsste sein, Formen der Stressbewältigung zu finden. Wer unter Anspannung leidet, muss für Entspannung sorgen. Das klingt einfach, ist im Alltag aber oft schwer umzusetzen. Setzen Sie sich nicht unter Druck; überlegen Sie, an welch kleinen Schräubchen Sie jeden Tag drehen können.
Sanfte Entspannungsübungen sind eine bewährte Methode, um auf Dauer zur Ruhe zu kommen und Stresshormone abzubauen. Ob Progressive Muskelentspannung, Achtsamkeits- oder Atemübungen oder Tai Chi – es gibt kein Patentrezept, jede und jeder sollte individuell entscheiden, was guttut.
In Volkshochschulen, Sportvereinen, Selbsthilfegruppen, speziellen Schulen (Probetraining), bei Krankenkassen oder via Internet-Apps gibt es zahlreiche Möglichkeiten und Angebote. Wichtig ist, dass die Entspannung Spass macht. So ist es genauso richtig, im Schwimmbad, an der Tischtennisplatte oder beim Tanzen den Kopf frei zu kriegen und sich Bewegung und Freude zu verschaffen.
Denken Sie an die gestressten Mäuse, die bei «normalem» Futterangebot weniger Appetit entwickelten. Nun sind Menschen ja keine Mäuse, doch die Ernährungsforschung weiss, dass Stressessen und Übergewicht oft in einen Teufelskreis führen. Weil dem Körper durch die unausgewogene Ernährung wichtige Mineralstoffe und Vitamine fehlen, verstärkt sich die Neigung zu Heisshungerattacken. Diese wiederum führen zu noch mehr Fettdepots und weiterem Stress. Abnehmpillen oder Diätdrinks machen dabei absolut keinen Sinn und würden Stress und das Verlangen nach Essen nur verstärken.
Ob bestimmte Lebensmittel gegen Stress helfen, ist kaum erforscht. Bekannt sind jedoch die positiven Wirkungen einiger Inhaltsstoffe der Nahrung. Nebenbei gesagt: Auch gründliches Kauen kann helfen, Stress abzubauen. Versuchen Sie, dem Körper die Nahrungsstoffe zurückzugeben, die er im Stress verbraucht hat. Eine wichtige Rolle spielen, wie immer, Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente. Dabei gilt: Lassen Sie ärztlich checken, ob mögliche Mängel bestehen, anstatt wahllos kombinierte Fertigpräparate zu schlucken.

Heben die Stimmung: Vollkornprodukte und Hülsenfrüchte.
Vitamine als Stresspuffer. Ein starkes Immunsystem kann die unangenehmen Folgen von Stress mildern. Die Vitamine A, C und E sind dabei unentbehrlich. Grüne, gelbe und rote Gemüse, Zitrusfrüchte, Weizenkeime und Eier liefern u.a. die nötigen Mikronährstoffe.
Kohlenhydrate bringen Gelassenheit. Das Verbraucherportal Bayern formuliert es so: «Kohlenhydrate aus Vollkorn-Getreide, Kartoffeln, Gemüse und Hülsenfrüchten heben die Stimmung nach einer akuten Stresssituation. Am besten wirken sie in Kombination mit etwas Eiweiss. Kartoffeln mit Ei oder Quark, Linsen mit Spätzle oder Nudelauflauf sind perfekt für die seelische Gesundheit. Bananen und (gesundes) Müesli verbessern die Leistungsfähigkeit zwischendurch. Fett im Essen erhöht den Stress, deshalb sollte man den Speiseplan auf Fettaugen prüfen.»
Stresskiller Magnesium. Stress kann, wie zu viel Sport, Alkohol, Kaffee, Diabetes oder manche Medikamente, den Magnesiumhaushalt beeinträchtigen, d.h. den lebensnotwendigen Mineralstoff mindern. Zwar enthalten viele Lebensmittel sowie Trinkwasser und manche Mineralwässer Magnesium, doch nur bis zu 40 Prozent des Minerals werden vom Körper verwertet; der Rest wird einfach ausgeschieden. Daher kann eine Substitution von Magnesium bei Stress, Nervosität und Schlafstörungen nötig sein. Gute Nachricht für Stressgeplagte mit Süsshunger: Kakaopulver enthält viel Magnesium.
Trinken. Trinken. Trinken. Wer gestresst ist, trinkt meist zu wenig. Dehydration führt zu Gereiztheit, Kopfschmerzen und Heisshunger. Mit 1,5 bis 2 Liter (Mineral-)Wasser, Kräuter- und Früchtetees am Tag bleibt der Kreislauf stabil und das Hirn leistungsfähig.
Ablenkung ist sinnvoll. Der erhöhte Cortisolspiegel löst Heisshungerattacken aus. Mit geschickter Ablenkung können Essanfälle ausgebremst werden. Was unter Umständen hilfreich ist: ein paar Minuten lang aufs Aus- und Einatmen konzentrieren, ein Glas Wasser trinken, eine Karotte knabbern, in ein anderes Zimmer gehen, etwas aufschreiben, telefonieren oder ein paar Übungen machen (Armkreisen, Bauch anspannen, auf die Zehenspitzen federn etc.).
Aber: Auch wenn es einmal nicht gelingt, den Heisshunger abzuwehren – machen Sie sich keinen unnötigen Stress, das ist keine Katastrophe. Das nächste Mal wird es gelingen. Tipp: Versuchen Sie, die Schoggi-, Bonbons-, Keks- und Chipsvorräte zu Hause und am Arbeitsplatz abzuschaffen. Wer keine ungesunden Knabbereien hortet, kann bei Heisshunger nicht darauf zurückgreifen. Eine Alternative könnten Nüsse sein.